ES WAR EINMAL // EINE WELT IN SCHWARZ WEISS

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Im Zeitalter von hochauflösenden Handykameras, die überall und jederzeit jeden noch so kleinen Winkel unseres Daseins locker aus der Hüfte heraus festtackern können, ist es wahrscheinlich kaum vorstellbar, dass es mal eine Ära gab, in der man – gründlich Luft geholt – minutenlang regungslos verharren musste, um einen guten Schuss zu landen. Wohl bemerkt  einen einzigen Schnappschuss, nicht zehn in der Sekunde. Und zwar ohne die anknüpfende Möglichkeit von Copy&Paste in unendlichen Farbvariationen. Doch genauso war´s.

Es war einmal das Polaroid des 19. Jahrhunderts, welches die ersten Momentaufnahmen möglich machte und Emotionen konservierte, für die Ewigkeit. In schwarz/weiss, mit viel Aufwand und bis heute nicht zu reproduzieren. Die Rede ist von Ambrotypie, einer sehr ursprünglichen und extrem analogen Art zu fotografieren, bei der sich auf einer beschichteten Glasplatte ein Foto entwickelt – aufgenommen mit einer sogenannten Fachkamera, wie man sie inzwischen meist nur aus alten Filmen kennt. Die so entstehenden Bilder haben eine fast mystische Ausstrahlung, die mit keiner anderen Art der Fotografie vergleichbar ist. Es gibt nur wenige Fotografen, die heute noch mit dieser aufwendigen Technik arbeiten. Einer von ihnen ist zum Beispiel J. Konrad Schmidt *.

Kennengelernt habe ich Konrad * – es ist noch gar nicht so lange her, höchsten 6 Wochen – im Hinterzimmer des Übel & Gefährlich, nach einem Spontankonzert von Clueso und Tim Neuhaus. Aufgedreht von Guter Musik * und bedingt durch die Größe des BackstageWohnzimmers kamen wir schnell ins Gespräch. Naja, wenn ich mich recht entsinne, kam wohl eher meine LieblingsHeimatFreundin in Redefluss, so für alle zusammen. Wir versuchten irgendwie zu folgen. Schmunzelnd. Spontane Komplizenschaft – check! Und wenn Konrad zwischen den Zeilen mal zu Wort kam, drückte seine Stimme den Knopf „Heimat“ in meinem Kopf. Irgendwie löst dieser leichte „Erfurt Slang“ immer wieder eine Art Pawlowschen Reflex bei mir aus – jedenfalls werden die Akteure ohne pingeligen CheckIn erst mal vorsorglich in den persönlichen Sympathiekreis aufgenommen. Und wenn nix dazwischen kommt, dann verweilen sie dort.

Hamburg ist riesig, die Auswahl an Aktivitäten grenzenlos, das Kunst- und Kulturangebot vielfältig – so könnte man es fast schon Schicksal und beginnendes Ritual nennen, dass ich Konrad letztens wieder einmal auf einem Konzert treffe – Szenenwechsel: vor der Tür des Knust, wartend auf Tom Klose. Vielleicht ist es aber auch schlicht guter Geschmack, den wir teilen und andere gemeinsame Interessen. Es verwundert also nicht, dass ich wieder eine finde, als Konrad ein bisschen über seinen BrötchenJob erzählt. In seinem Fall wohl eher eine Berufung, welcher er nachgeht, sobald er seine Zeit nicht vor und hinter den Bühnen der Stadt mit Musik verbringt. Dann drückt er neben meinem Heimat Knopf nämlich noch andere, primär die Auslöser verschiedener Kameras.

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Professioneller Fashion & Advertising Fotograf, Mitglied des Berufsverbands Freie Fotografen und Filmgestalter, Adobe Influence Partner und eben leidenschaftlicher SchwarzWeissKnipser, um nur ein paar Eckpunkte zu nennen. Der 30-jährige Wahlhamburger J. Konrad Schmidt ist vielseitig interessiert und dementsprechend facettenreich sind seine Arbeiten.

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In Hochglanzmagazinen wie ELLE und NEON inszeniert Konrad farbenfrohe Werbeaufnahmen mit Wums, seine geheime Leidenschaft indes gilt der dezenten schwarz/weiss Photography – für Konrad ein Symbol für große Kunst, nicht zuletzt wegen des reduzierten und mitunter surrealen Charakters. Durch das Weglassen der Farbe treten andere Dinge stärker hervor. Nicht der Look, vielmehr die Stimmung, die Bildkomposition, das Zusammenspiel von Licht und Schatten stehen im Vordergrund. Auf diese Weise erzählt Konrad mit seinen Fotografien Geschichten, ohne ein einziges Wort verlieren zu müssen. Und so kommt es auch mal vor, dass Bewunderer seine Werke als „reflection of your inner thoughts“ kommentieren. Gibt es ein schöneres Kompliment, als eine solche Wahrnehmung? Mich erinnerte diese Quittung sofort an eines meiner Lieblingsbücher: The Secret * von Rhonda Byrne und Paul Harrington, in dem es heißt:

“Die Welt ist eine Manifestation Deiner Gedanken in Deinem Kopf.”

Wenn´s manchmal nicht so läuft, flimmert diese Zeile vor meinem geistigen Auge und ich versuche mir die Welt, wie einst Pippi Langstrumpf, zu gestalten, wie Sie mir gerade gefällt. So ähnlich muss es Konrad gehen, wenn er auf den Auslöser drückt. Seine Gedanken längst gedacht, manifestiert sich die Idee vom perfekten Motiv in seinen Bildern. Anders, als im Buch auch manchmal melancholisch, dafür aber nicht weniger schön.

Bei Konrads Ambrotypien findet die eigentliche Arbeit stets vor und während des Auslösens statt. Es gilt Stimmungen zu erzeugen, einzufangen und mit einem intimen Touch wieder abzugeben. So werden sonst unsichtbare Details offenbar, besondere Momente übertragen sich wie ein PingPongBall vom ManBehindTheScenes über seine Aufnahmen bis hin zum Zuschauer. Photoshop und nachträgliches Retuschieren Fehlanzeige. Konrad braucht nicht bearbeiten, nicht die Wirklichkeit manipulieren. Alles wird zu hundert Prozent so erzählt, wie es seine Kamera einfängt und die Chemikalien es verarbeitet haben. Und immer entsteht dabei ein handgefertigtes Unikat. Im Jahr 1851 noch als Nachteil deklariert, erhöht dieses Charakteristikum die Wertschätzung einer Ambrotypie heutzutage ohnegleichen, macht sie zu etwas Unverwechselbarem im Vergleich zu den digitalen Schnellschüssen unseres rasanten Lebens.11271585_10206995618555723_50824205_o

Vor dem Ausstellungsauftakt unter dem Motto „The day will come when photography becomes slow again“  am 23. Juni in der Bucerius Law School in Hamburg  ist Konrads Projekt aktuell im Mercedes Me Store * am Ballindamm 17 (ebenfalls Hamburg) zu bewundern. Und hier treffe ich ihn heute zum dritten Mal, in einem – für uns – neuen Setting, seinem Setting. Im Foto Talk unter weiteren Fotographen (u.a. Ivo von Renner *, Hans-Jürgen Burkhard *) berichtet Konrad von seiner Arbeit, seiner Leidenschaft. Hier stellt er auch seine Ambrotypien vor und direkt bin ich Fan dieser ursprünglichen Art der Fotografie. Aus vielerlei Gründen, aber letztendlich, weil: Hat er nicht gerade etwas von spiegelverkehrter Abbildung gesagt? Anno dazumal eine weitere Schwäche des Verfahrens, dürfte dieses Manko heutzutage bei vielen Modellen für großen Zuspruch, maximale Begeisterung und auch einen gewissen Trost sorgen. Denn wer möchte im höchsteigenen FotoSammelSurium seines Lebens nicht gern ein Bild haben, dass unser Ich so darstellt, wie wir es kennen. Eben so, wie man nach eigener Meinung vermeintlich ausschaut, wenn man morgens in den Badezimmerspiegel blinzelt, sich aufgehübscht in der Umkleidekabine, der Schaufensterscheibe oder nur flüchtig Keramikgeschirr betrachtet. Allein diese Perspektive ist uns wohl vertraut, täglich mehrfach erprobt und entspricht damit den eigenen Sehgewohnheiten. Man könnte sich also endlich mal auf Anhieb schön finden und müsste das Fotos nicht mit den tausend anderen ganz hinten im Schrank verschwinden lassen. Vielleicht sollte ich also Konrads Einladung annehmen und ein solches Kunstwerk in schwarz/weiss von mir zaubern lassen. Dann müsste ich jetzt nur noch lernen, still zu sitzen!