VON UND ÜBER // GLEICHUNGEN MIT EINER UNBEKANNTEN

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Damals im Ferienlager, da war das noch ganz was anderes – die Sache mit der Freundschaftsanfrage. Entweder man taugte zum Pferde stehlen und ging von jetzt auf gleich durch dick und dünn oder eben getrennte Wege. Heute teilt man zwar auch irgendwie alles, ist nur ein zwei Klicks vom nächsten Freund entfernt, schleift sich aber mit dem ein oder anderen einfach nebeneinander durchs virtuelle Leben, ohne sich je richtig anzuschauen.

Im Zeitalter von sozialen Netzwerken sind unverbindliche Bekanntschaften schnell geschlossen. Zitternd handgeschriebenen Zettelchen, mit der Option ‚vielleicht‘ längst kompostiert, sagt man aus Mangel an Alternativen schnell mal JA, ich will! Schließlich steckst Du Dir keinen Ring an den Finger. Oft folgt dem besagten Klick nicht mal ein ordentliches Vorstellungsgespräch, geschweige denn gemeinsame Erlebnisse, welche per Definition eine gute Freundschaft ausmachen. Ohne klares Ziel zieht Dein roter Faden verworrene Kreise, verheddert sich in permanenter Unvollständigkeit. Der Mensch – Jäger und Sammler seit eh und je, geht auf Streifzug. Angepasst an seine zeitgemäße Mission werden aus bunten Profilbildern heißbegehrte Briefmarken – sicher abgeheftet und archiviert für die Ewigkeit. Zugegeben, viele vom 444 Inner Circle kennst Du ja wirklich, live und in Farbe, mit Konturen und Stimme, Duft und persönlichen Erinnerungen, dass hoffe ich zumindest für Dich. Dennoch gibt es in jeder Freundesliste auch Kandidaten, die sich über die Zeit einfach eingeschlichen haben und jetzt liegen sie da so rum, flattern ab und zu an dir vorbei und geraten dabei nie so richtig in Vergessenheit. Wie viele dieser Menschen wir in der Virtualität Freund nennen dürfen, sagt uns eine Anzeige im System. Wer sie aber wirklich sind, sagt uns bisweilen nichts, außer unsere Phantasie. Schießt einem dann die Frage durch den Kopf „Wer bist Du denn?“ echot das Gegenüber lapidar in die Web Weite Welt: „Für dich bin ich, wer Du willst!“

Das Futter für unsere Phantasie frei Haus mitgeliefert, werden wir zum Beifahrer des letzten Road Trips, wohnen dem Dinner von gestern Nacht bei, beobachten Kunststücke vom lustigen Haustier oder bewerten das aktuelle Büro Outfit aus dem Showroom Fahrstuhl. Wir inhalieren den ganzen persönlichen Senf und verkosten freie Gedanken, erleben den vermeintlichen Alltag des anderen so selbstverständlich mit, als hätten wir ein lebenslang zusammen im Big Brother Container eingecheckt oder gerade eine hundert Mann WG gegründet. Und dennoch ist man sich eigentlich fremd. Klickst du hier noch völlig unbefangen ‚Gefällt mir‘, würdest Du Dir im echten Leben wahrscheinlich lieber die Kapuze über den Kopf ziehen. Was will man auch sagen? „Hi, na – haben die Spagetti Vongole gestern geschmeckt? Muscheln darf man eigentlich nur in Monaten mit R am Ende essen und wir haben jetzt Mai.“ (Ein Gerücht, ByTheWay). Nee, oder? Im echten Leben dauert sowas. Freundschaft ist Arbeit. Was sinnvolles sagen erfordert richtiges zuhören, sich auf andere einlassen verlangt mitdenken und hinter die Kulissen schauen – eben insgesamt mehr Anstrengung, als ein flotter Spruch, ohne langfristige Konsequenzen. Virtualität ist also leichtgängiger, und auch anderes, als wahre Freundschaften, nicht kontinuierlich pflegebedürftig.

Ist es also die Leichtigkeit des Seins, nach der wir mit dortigen Freundschaften streben? Alles immer bunt? Keine Schatten, keine Verpflichtungen, wenig Kontur? Was treibt uns dazu, solche Freundschaften aufrechtzuerhalten, ein anderes Leben zu verfolgen, dass uns in der Realität nicht im geringsten tangiert? Ist es das Bedürfnis, endlich mal all seine Illusionen und Idealvorstellungen projizieren zu können? Der Notfall Koffer, den man unter dem Bett hervorholt, wenn das echte Leben streikt? Irgendwo müssen ja all diese fixen Ideen vom idealen Dasein entsorgt werden. Und reicht uns das wirklich? Oder strebt man insgeheim nicht doch danach, all diese Menschen einen Deut besser zu kennen? Den Ton zur Musik zu hören, das Making Off, statt immer nur FullHD zur Prime Time. Ein Versuch sollte es wahrscheinlich wert sein, denn wer nie über den Tellerrand der preisgegeben Oberflächlichkeiten hinaus zu schauen vermag, lebt wie im Traum auch im Sein, mehr den Schein. Besser also, wir lassen uns vom alten Bekannter Herr Neugier antreiben. Denn dieser, nach W. McDougall wichtigste Kern unserer Motivation, dürfte wohl der wünschenswerteste Ansporn für virtuelle Freundschaften sein. Er verlangt uns aber auch die Bereitschaft ab, dem steten Jagen und Sammeln einen zweiten Blick einzuräumen und sich zu fragen: Wer sind denn eigentlich diese ganzen Menschen, mit denen ich hier kommuniziere, Tauschhandel mit Erlebnissen und Erinnerungen, Momenten und Empfindungen betreibe, gemeinsam konsumiere und ein Gefühl von Nähe entwickle, obwohl vielleicht durch Ozeane getrennt oder im selben Viertel völlig voneinander losgelöste Leben lebe?

Wer Wie Was? Wieso Weshalb Warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm! Das wussten schon die Freunde der Sesamstraße. Und ihr Motto bleibt auch in Zeiten von Social Networking aktuell. Sollte es also nicht unser aller Anspruch sein, sich durch ein paar brieffreundschaftliche Gedanken seinen Karteileichen anzunähern? Ich finde schon! Und damit herzlich willkommen zu meiner neuen Reihe  „W E R   B I S T   D U   D E N N ?“


Demnächst an dieser Stelle: gründliche Überlegungen und gewagte Vermutungen über nicht wegzudenkende Netz Bekanntschaften, welche natürlich, wie in jedem professionellen 1-2-1 auf die aufgeworfenen Spekulationen kontern dürfen. Quasi eine artverwandte Form des Dialogs im Dunkeln. Ein Blind Date in Sachen Freundschaft – durch das wir für einen Moment zertrampelten Pfade verlassen, um uns überraschen zu lassen. Denn so oberflächlich die virtuelle Freundschaft auf den ersten Scroll auch sein mag, so liefert sie neben ausgefeiltem RundUmDieUhr Entertainment auch den perfekten Grundstein für spritzige Erfrischungen im eingegroovten Lila Laune Alltag und vielleicht sogar den Startschuss für’s Mitnehm‘ ins reale Leben.

You never know!